Jahresbericht 2019


Das goot jo diräggt in Buuch

Seit Januar 2019 bin ich mit meinen beiden Monochorden unterwegs, spiele für und mit den Bewohnenden. Ich bin «einfach da», manchmal dazu pfeifend, summend, lauschend; aufmerksam auf mein Gegenüber ausgerichtet.

Wie geht’s ihr? Mag sie mit mir sein, sich auf die Klänge einlassen? Vielleicht nur etwas plaudern, spazieren – oder gar von alldem nichts wissen. Auch das kommt vor, zwar sehr selten, dann eher im Sinne von «heute nicht». Nachfolgend lasse ich nun die Geschichte einer Klangbegegnung sprechen:


Ich trete näher, spreche sie an. Ob sie etwas suche. Nein … sie wolle «da aufräumen» und ergänzt flüsternd «ich bi nämlich echli verstopft … han es bitzeli Buuchweh». Sie geht zurück ins Bad und betätigt die WC-Spülung, «so, jetzt isch’s guet» und zu mir gewandt «was mached mir jetzt?» Ich sei gekommen, um Musik zu machen; vielleicht in ihrem Zimmer? Ich folge ihr, wir schliessen die Tür. Im Lehnstuhl Platz nehmend, lädt sie mich ein, ihr gegenüber («nicht am Tisch») auf den Stuhl zu sitzen. Und ergänzt, als ich das helle klingende Monochord ergreife, «leg das uf unseri Kneu».
 

«Ich beginne zu spielen, leise zu summen. Sie plaudert dazu, erzählt aus ihrem Leben, assoziiert frei. Sie berichtet…»


Ich beginne zu spielen, leise zu summen. Sie plaudert dazu, erzählt aus ihrem Leben, assoziiert frei. Sie berichtet «mini Schweschter het …» oder von Erinnerungen an Ereignisse, die lange zurück liegen. Dann, wie selbstverständlich, ertastet sie auf ihrer Seite die Saiten, streicht vorsichtig darüber, meint zu sich selbst «das goot nümmi …» Ich frage nicht nach. Ich hätte ihren Erzählfluss unterbrochen, das Gesprächsthema gesteuert. So spiele ich weiter, während sie, sich abwechselnd zurück und nach vorne lehnend, mein Spiel verfolgt. Wiegt sie sich nun in den Klängen oder ist ihr nicht ganz wohl, hat sie noch immer Bauchweh? Ich frage nicht, bleibe aufmerksam, vertraue darauf, dass sie es zu sagen vermöchte, sollte etwas unangenehm sein.


Ich wechsle zum tiefen Monochord, spiele. Sie berührt es, schaut mich an «das isch sehr schön, gäll» – ich nicke wortlos – «das goot diräggt in Buuch», hält inne, «dadrüber muss i jetzt noochedängge». Sie schliesst die Augen, verbleibt zurückgelehnt. – Summt sie? Ich lausche – ja, sie summt, ganz leise. Ich bin ergriffen, Resonanz pur.
Bevor ich gehe, will ich es nun doch wissen: ob sie noch Bauchweh habe. Sie legt die eine Hand auf ihren Bauch, wiegt mit dem Kopf hin und her und meint: «Ja scho, … aber viiiel weniger – s’isch fascht guet!» Wir winken uns beim Abschied.


Helena M. Roth, Dipl. Pflegefachfrau MNS MAE
Musikerin: Monochord & KoTaMo, Gesang